Mit dem KI-Rissfinder können Ingenieur:innen intelligenter arbeiten

4 Min.
Eine Canon-Kamera mit Objektiv und Streulichtblende ist auf einem Stativ montiert. Ein externer Monitor zeigt Informationen an. Eine Person mit Schutzausrüstung betrachtet das Kamera-Setup.

Man kann wohl grundsätzlich sagen, dass Risse tendenziell nicht kleiner werden. Nehmen wir zum Beispiel ein Glas. Sobald man darin einen Riss entdeckt, sollte es nicht mehr benutzt werden, denn es ist nur eine Frage der Zeit, bis das Glas zerbricht. Zum Glück ist das nicht bei jedem leicht beschädigten Material der Fall. In den meisten Fällen kann eine frühzeitige Entdeckung verhindern, dass ein kleiner Riss zu einem grossen Problem wird.

Beton ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Beton ist unglaublich stark und langlebig, weshalb es zum Bau von Gebäuden, Strassen und Brücken verwendet wird. Doch nach etwa 50 Jahren zeigen sich erste Anzeichen von Verfall. Dann werden Bauingenieur:innen eingesetzt, um die Betonbauwerke zu inspizieren, auf Risse zu prüfen und wichtige Handlungsempfehlungen zu geben. Das ist eine sehr wichtige Arbeit – vor allem im Hinblick auf komplexe Autobahnsysteme. Autobahnen werden jede Woche von Hunderttausenden, wenn nicht gar Millionen von Autos befahren und sind häufig mit diversen Brücken, Tunneln und anderen Betonbauwerken ausgestattet.

In Japan wird ein solches Autobahnnetz von der Nippon Expressway Company (NEXCO) betrieben. Es umfasst knapp 10.000 Kilometer Strasse, 16.700 Betonbrücken und 1.680 Tunnels. Etwa die Hälfte davon ist über 30 Jahre alt, viele davon stammen noch aus den 1960er Jahren. Das ist ganz schön viel Beton. Ganz besonders, wenn man bedenkt, dass jeder Zentimeter sicher und zweckmässig sein muss.

Normalerweise hätte eine kleine Gruppe erfahrener Ingenieur:innen und Expert:innen die gesamten Inspektionsarbeiten durchgeführt. Sie hätten sich Risse, Verfärbungen und Betonabplatzungen (Beton, der aus der Struktur herausgebrochen ist) vor Ort aus der Nähe angesehen. Dabei geht es nicht nur darum, mit einem Vergrösserungsglas herumzulaufen und auf den Beton zu klopfen, um die Struktur zu prüfen. Man muss auch auf Gerüste oder Hubwagen klettern und sogar Fahrzeuge mit ausfahrbaren Armen einsetzen, um auch schwer zugängliche Stellen prüfen zu können. Das ist eine notwendige, aber kostspielige Angelegenheit – und das noch bevor weitere Analysen oder Reparaturen durchgeführt werden.

Eine Canon-Kamera mit Teleobjektiv auf einem Stativ ist auf die Unterseite einer Betonbrücke gerichtet.

Angesichts des ständig wachsenden Strassennetzes und der Tatsache, dass Ingenieur:innen in Zukunft immer schwerer zu finden sind, musste das NEXCO-Forschungsinstitut neue und effiziente Wege finden, um diese quasi endlose Herausforderung zu bewältigen. Dabei entdeckte man das Inspection EYE for Infrastructure von Canon, einen bildbasierten Service, der Deep Learning zur Erkennung von Mängeln einsetzt.

Zunächst werden einzelne Inspektionsbilder mit einer hochauflösenden Canon-EOS-DSLR-Kamera aufgenommen, die auf einer motorisierten Panoramahalterung angebracht ist. Sie lässt sich damit automatisch schwenken und neigen und nimmt ein Objekt aus allen Blickwinkeln auf. Diese Bilder werden dann zusammengefügt, um eine einzige hochauflösende Version zu erstellen, die von der künstlichen Intelligenz analysiert werden kann. Dieses KI-Modell wurde mit Daten von Tosetsu Civil Engineering Consultant Inc. trainiert, einem Pionier auf dem Gebiet der bildgestützten Inspektion von Infrastrukturen. Damit hat es gelernt, Risse auf einem Niveau zu erkennen, das sich mit hoch qualifizierten Inspektionsingenieur:innen vergleichen lässt. Es kann sogar Risse in der Wandoberfläche identifizieren, ohne sie fälschlicherweise für Schmutz oder Fugen zu halten.

In einer Vergleichsübung benötigen Bauingenieur:innen, denen die gleichen Bilder wie dem Inspection EYE for Infrastructure vorgelegt wurden, 720 Minuten, um etwa 500 Risse zu identifizieren und die entsprechenden Inspektionsdaten zu erstellen. Mit Hilfe unseres KI-Tools konnte diese Aufgabe in nur 90 Minuten erledigt werden. Es wurde auch festgestellt, dass das System nicht nur Genauigkeit, sondern auch Konsistenz in den Ergebnissen bietet – etwas, das bei der menschlichen Analyse ein wenig variabel sein kann. Die so ermittelten Ergebnisse werden von qualifizierten Ingenieur:innen stets noch einmal bewertet. Bei Bedarf werden dann alle Änderungen in das KI-Modell zurückgespielt, damit es weiter lernen und sich verbessern kann.

Eine Person in einem hellgrünen Hemd benutzt einen Laptop, auf dem ein Bild einer Betonoberfläche mit farbigen Linien überlagert ist. Auf dem Display ist japanischer Text zu sehen.

Bei der Arbeit an Nippon Expressways ist die „automatische Fehlererkennung mit Hilfe von KI nur ein Teil des Inspektionsprozesses“, erklärt Masakazu Honda, Abteilungsleiter der Maintenance Management and Promotion Division, Infrastructure Development Department bei NEXCO RI. „Die endgültige Beurteilung wird immer von Ingenieur:innen vorgenommen.“ Unsere Tests haben jedoch ergeben, dass Inspection EYE for Infrastructure die Fehler mit einer extremen Präzision erkennt – mit einer Genauigkeit von 99,5 %. „Während einige KI-Systeme einzelne Risse nur stückweise erkennen, bietet das KI-System von Canon einen Präzisionsgrad, der der visuellen Prüfung durch Inspektionsingenieur:innen nahe kommt. Es erkennt z. B. aufeinander folgender Risse als einen einzigen Riss“, fügt Masakazu Honda hinzu.

Diese neue Technologie reduziert nicht nur den Zeit- und Kostenaufwand für die Inspektion, sondern Masakazu Honda sieht auch grosse Vorteile für die Ausbildung der Ingenieur:innen. Sie haben damit mehr Zeit und können mehr Besuche vor Ort durchführen. Das ist wichtig für die Entwicklung der Fähigkeiten zur Beobachtung und zum Verständnis der verschiedenen Arten von Bauschäden. „Um sich als Ingenieur:in weiter zu entwickeln, müssen sie die Baustelle mit ihren eigenen Augen sehen“, sagt er. „Auch wenn [die KI-Unterstützung] mehr Komfort bietet, ist es wichtig, die Fähigkeit zur Bewertung durch die Beobachtung vor Ort weiter zu entwickeln.“

Auf diese Weise sind die zusätzlichen „Augen“, die Canon zur Verfügung stellt, nicht nur ein wichtiges Instrument, um mehr Sicherheit zu gewährleisten. Sie unterstützen auch die Entwicklung von beruflichen Laufbahnen in einem hoch spezialisierten Bereich. Das ist für die Sicherheit der Reisenden, aber auch für die Volkswirtschaften, die auf gut gewartete Strassensysteme für Pendler:innen und Gütertransport gleichermassen angewiesen sind, von entscheidender Bedeutung.

Erfahren Sie mehr darüber, wie wir mit Unternehmen zusammenarbeiten, um ihre Probleme zu lösen.

Weitere Geschichten