DIE AUSSTELLUNG „WORLD UNSEEN“
„THE PROCESS OF RE-LEARNING BODIES“ VON YAGAZIE EMEZI
Yagazie Emezi zeigt die Schönheit unserer Narben in diesem beeindruckenden Foto von einer Frau in Liberia.
DIE AUSSTELLUNG „WORLD UNSEEN“
Yagazie Emezi zeigt die Schönheit unserer Narben in diesem beeindruckenden Foto von einer Frau in Liberia.
Hören Sie sich an, wie Yagazie Emezi ihr eigenes Foto beschreibt.
In der Bildmitte steht eine Frau mit dem Rücken zu uns vor einer zweifarbig gestrichenen Wand. Ihre Arme sind hinter dem Rücken leicht verschränkt, während ihr Kopf nach links gedreht ist und so einen Teil ihres Gesichts zeigt. Sie trägt einen roten Hut mit Lederband und Schnalle über dem Schirm und ein korallenfarbenes Kleid mit tiefem Rückenausschnitt. Auf ihrem rechten Schulterblatt ist auf ihrer dunklen Haut deutlich eine etwas hellere, leicht erhabene Narbe zu erkennen. Diese wulstige Narbe wird teilweise vom rechten Träger des schwarzen BHs und des Kleides verdeckt und zieht sich bis auf die Rückseite des rechten Oberarms.
Nur der Oberkörper der Frau ist zu sehen. Unter dem Hut sind kurze, lockige Haare sichtbar. Ihre Augen sind nicht zu erkennen. Am linken Ohrläppchen befindet sich ein goldener Ohrring.
Die Narbe auf ihrem Rücken ist zwar deutlich sichtbar, stammt aber offensichtlich nicht von einer kürzlichen Verletzung. Es ist bereits ausreichend Zeit vergangen, in der ihre Wunde ausheilen konnte. Aber selbst wenn die Narbe mit der Zeit verblasst, wird die Erinnerung an die Verletzung wahrscheinlich für immer bleiben.
Viele Menschen betrachten Narben immer noch mit einer Faszination für das Ungewöhnliche. Mit meinen Fotografien möchte ich sie in ein neues, sanfteres Licht setzen. Denn viele Narben stammen nicht von Gewalt oder Missbrauch."
Dieses Foto habe ich 2017 in Liberia aufgenommen. Es ist Teil meines ersten persönlichen Projekts „The Process of Re-learning Bodies“ (Der Prozess, einen Körper neu kennen zu lernen). Es begann als eine Untersuchung darüber, wie sich Trauma-Überlebende in Afrika an ihre veränderten Körper gewöhnen, während sie nicht von einer überschwänglichen "Body-Positivity"-Kultur umgeben sind.
Als ich diese Frau vor der blau und weiss gestrichenen Wand fotografierte, hatte ich bereits einige Zeit mit der Dokumentation von Menschen mit Narben verbracht. Zu diesem Zeitpunkt war ich so sicher im Umgang damit geworden, dass ich auf die Menschen zugehen konnte, um sie über ihre Verletzungen zu befragen, über die Geschichten, die dahinter stecken, und darüber, wie sie mit den Spuren umgehen, die sich auf ihren Körpern zeigen.
Bei diesem Projekt geht es darum, wie Menschen aus verschiedenen Gemeinschaften mit ihren Narben umgehen. Es wird von dem angetrieben, was ich auf dem ganzen Kontinent gesehen und erlebt habe. Die meisten Fotos, die ich von den Narben afrikanischer Menschen gesehen hatte, waren von Weissen aufgenommen worden. Sie konzentrierten sich oft auf die Opfer von schrecklichem Missbrauch, Gewalt oder Terrorismus. Ich fand diesen Ansatz grotesk. Ich erinnere mich an das Bild einer afrikanischen Frau mit erheblichen Narben, die ohne Hemd auf dem Boden sitzt. Warum musste sie auf dem Boden sitzen? Warum sass sie nicht auf einem Stuhl? Natürlich sind Narben, Verletzungen und ihre Traumata wichtig. Man kann doch aber die Person, die sie trägt, trotzdem mit Würde darstellen und nicht darauf reduzieren.
Ich stellte fest, dass das auch für die Gesellschaft gültig war: Viele Menschen betrachten Narben immer noch mit einer Faszination für das Ungewöhnliche. Mit meinen Fotografien möchte ich sie in ein neues, sanfteres Licht setzen. Denn viele Narben stammen nicht von Gewalt oder Missbrauch.
Manchmal stammen sie von Autounfällen, manchmal von kochendem Wasser oder Bränden.
Die Frau auf diesem Foto hat ihre Narbe von einem Verkehrsunfall. Es gibt oft lange Geschichten darüber, wie Narben entstanden sind. Ich ziehe es jedoch vor, mich auf die bleibenden Auswirkungen zu konzentrieren, die sie hinterlassen – nicht nur körperlich, sondern auch in Bezug auf die Gefühle, die sie bei den Menschen auslösen. Denn es sind unsere Gefühle, die bleiben. Oft überdauern sie sogar die Narben selbst, da diese verblassen oder manchmal sogar ganz verschwinden.
Die Photojournalistin Yagazie Emezi hat dieses beeindruckende Foto in Liberia mit einer Canon EOS 5D Mark III aufgenommen
Dieses Foto und die Serie, zu der es gehört, sind für mich sehr persönlich. Ein Autounfall in meiner Kindheit hinterliess bei mir eine grosse Narbe, die noch heute sichtbar ist. Als nigerianische Frau wollte ich verstehen, wie unsere Gesellschaft die Art und Weise beeinflusst, wie wir unsere Narben sehen und unseren Körper neu wahrnehmen. Als ich aufgewachsen bin, hat mich meine Narbe nicht gestört. Aber als ich in ein neues Umfeld kam, änderte sich auch meine Geschichte.
Ich kann mich gut erinnern, wie man in Nigeria mit mir als Kind und meiner Narbe umgegangen ist: sehr sachlich und offen. Völlig fremde Menschen fragten mich: ‚Oh mein Gott, was ist passiert?‘ Als ich dann zum Studieren nach Amerika kam, starrten mich die Leute dort an, sagten nichts und schauten dann schnell weg. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich verunsichert.
Im Laufe meines Projekts begann ich dann, die Narben von Menschen aus der Nähe zu fotografieren. Bei einigen Aufnahmen konnte man kaum unterscheiden, ob es die vernarbte Haut einer Person oder eine Landschaft war. Es war wirklich schwer zu unterscheiden – das hat mir gefallen. Die Muster der Heilung unserer Haut spiegeln die Muster der Natur wider.
Dieses Bild wurde mit einer Canon EOS 5D Mark III aufgenommen und stellt einen Zwischenstand des Projekts dar. Es versucht, eine Verbindung zwischen den Spuren auf unserer Haut und den Spuren auf der Erde herzustellen. Ihre Narbe fliesst wie ein Fluss von ihrem oberen Schulterblatt über die Schulter bis zum hinteren Oberarm. Und genau das ist mein Ziel: Die Parallelen zwischen dem Heilungsprozess unseres Körpers und den bereits bestehenden Mustern in der natürlichen Welt aufzuzeigen.
Mir gefällt, wie dieser Ansatz die Menschen zum Denken anregt. Er verändert die Perspektive und den Fokus darauf, wie wir Narben betrachten. Er weckt Neugier und hilft uns, über Beschädigungen an unserem Körper hinwegzusehen und stattdessen die Art und Weise zu betrachten, wie unsere Wunden verheilen.
Die Narbe dieser Frau fliesst wie ein Fluss von ihrem oberen Schulterblatt über die Schulter bis zum ihrem hinteren Oberarm.“
Ich fand es schon immer seltsam, dass sich die Faszination vieler Menschen auf die blutigen Details ihrer Entstehung konzentriert. Ich wollte das Gleichgewicht wiederherstellen und dafür sorgen, dass es weniger um die morbide Neugier geht, warum die Menschen „anders“ sind. Ich wollte sie von diesem Gedankengang lösen. Weg mit den Gesichtern und Körpern, weg mit dem Unheimlichen – allein die Neugier auf die Menschen bleibt.
Während der Arbeit an diesem Projekt sagte jemand zu mir: „Die Leute konzentrieren sich auf die Narbe und vergessen die Verletzung.“ Das fand ich bemerkenswert. Was wäre, wenn wir Narben nicht auf diese Weise betrachten würden? Was wäre, wenn die Menschen sie aus einer anderen Perspektive sehen würden, nämlich als schöne Verzierungen? Mir persönlich fiel es leicht, eine Verbindung zwischen den Verzierungen auf unseren Körpern und den Mustern in der Natur zu erkennen. Ich hoffe, dass andere durch meine Arbeit auch dazu in der Lage sind.
Ich hoffe, dass dieses Foto zeigt, dass die Regeneration unseres Körpers ein ganz natürliches Phänomen ist. Und die Gesellschaft sollte dies nicht nur erkennen, sondern auch akzeptieren.
Um das Projekt „World Unseen“ zu ermöglichen, haben wir die Braille-Beschriftung und die beeindruckenden Bilder mit der Canon PRISMAelevate XL-Software und einem Drucksystem der Arizona-Serie als Relief gedruckt. Im Folgenden erfahren Sie mehr über diese innovativen Produkte:
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