„Being the Rhino“: Der Sound von „World Unseen“

„Rhino Wars“ fotografiert von Brent Stirton.

Nur eine halbe Stunde in der Gesellschaft von Paul Sumpter lässt einen lachen, staunen und ... auch ein bisschen neidisch sein. Auch seine Nashorn-Imitation ist wirklich beeindruckend und der Inhalt seiner Schränke ist mehr als amüsant. Aber darauf kommen wir später zurück.

Paul Sumpter ist der Gründer und Kreativdirektor von The Futz Butler. Er beschreibt sein Unternehmen mit Sitz in London als „professionelle Geräuschemacher“. Das ist eine viel lustigere (und vielleicht zutreffendere!) Beschreibung für sein Musik- und Soundproduktionsstudio. Ihre tägliche Arbeit ist ganz unterschiedlich. Im Wesentlichen nutzen sie aber Sound und Musik, um Geschichten zu erzählen – für einen Spielfilm, Werbung oder manchmal auch die Geräusche, die man bei der Nutzung einer App hört. Er räumt ein, dass es vielen oft schwer fällt, das zu verstehen. Meist denken wir nämlich nicht sofort an Klanglandschaften, wenn wir Geschichten erzählen wollen. „Oft fällt es den Menschen schwer, ihre Vorstellungen mit Klang auszudrücken. Musik ist sehr abstrakt“, erklärt Paul Sumpter. „Sie denken darum meist, ihre Geschichten in eine visuelle Sprache umzusetzen.“

Bei der Gestaltung unseres „World Unseen“ Projekts waren wir uns dieser Tatsache sehr wohl bewusst. Wir mussten die stille Kraft jedes Bildes in einzigartige Klanglandschaften übersetzen, um jeder Geschichte diese wichtige Nuance für eine neue Dimension hinzuzufügen. Da ist zum Beispiel Muhammed Muheisens Bild „A Smile in the Rubble“ (Ein Lächeln inmitten von Trümmern), das spielende Flüchtlingskinder zeigt. Die vertrauten Geräusche von Lachen und Kinderstimmen unterstreichen Muhammed Muheisens Worte, mit denen er die Freude beschreibt, die diese Kinder trotz ihrer Situation haben, und wie dieses Bild zustande kam. Und das ist wirklich etwas, worüber man nachdenken sollte – welche Rolle spielt der Ton, wenn solche Geschichten zum Leben erweckt werden? Und wie wirkt sich das auf die Art und Weise aus, wie blinde und sehbehinderte Menschen nicht nur die angebotene Kunst geniessen, sondern sich auch in der Umgebung bewegen, in denen die Kunst gezeigt wird? Sei es persönlich vor Ort oder online.

Two images of third filled glass water dispenser jars on a yellow and white geometric tablecloth. Above each jar is a microphone.

Genau damit haben sich Paul Sumpter und sein Team eingehend beschäftigt. Denn der Sound von „World Unseen“ wurde auf drei Arten vermittelt – online, über Kopfhörer und als separater Ausstellungston, der abgespielt wird, wenn sich die Besucher:innen durch die einzelnen Räume bewegen. Dies ist, um es in einer möglichst wenig technischen Sprache auszudrücken, eine echte Herausforderung. So sind zum Beispiel die Ausstellungsräumlichkeiten natürlich Orte, an denen sich der Klang ausbreitet. Für Paul Sumpter und sein Team war es eine Herausforderung, „solche Fotoklangwelten“ in grossen, von vielen Menschen bevölkerten Räumen nahtlos zusammenzufügen. Ihre Fähigkeiten haben dazu geführt, dass der Ton in der gesamten Ausstellung kohärent und klar ist und ein fliessender Übergang von Bild zu Bild besteht – und das auch unter Berücksichtigung verschieden ausgeprägter Hörfähigkeiten.

Aber wir wissen, was Sie gerade denken: Wir wollen mehr über Pauls Nashorn-Imitation erfahren! Keine Sorge, dazu kommen wir noch. Zunächst müssen wir aber feststellen, dass die Art und Weise, wie er und sein Team Geräusche „sammeln“, sehr einfallsreich ist. „Die harmlosesten Dinge machen die interessantesten Geräusche“, erzählt der lächelnd. Und damit meint er, dass die Schränke von „The Futz Butler“ buchstäblich voll sind mit ... Zeug. Er hebt eine Kiste aus dem Regal, die mit den unwahrscheinlichsten Gegenständen gefüllt ist. Eine Silikonbackform (für das Geräusch von Füssen auf einem Laufband). Ein iPad-Case aus Kunststoff (das „Schnapp!“ von jemandem, der an einer Gummimaske zieht). Gummischlauch (im Allgemeinen sehr praktisch). „Man muss die Fähigkeit entwickeln, den Klang von dem Gegenstand, der ihn erzeugt, zu entkoppeln“, lacht Paul Sumpter. „Erst wenn man das kann und vergisst, dass der Sound von einer Waschmittelflasche oder was auch immer erzeugt wird, kann man wirklich kreativ werden.“

So haben wir zum Beispiel ein Ultraschallbild der ungeborenen Tochter von Karen Tripass in einen Reliefdruck verwandelt. Der von Paul Sumpter geschaffene begleitende Ton erweckt diesen taktilen Moment durch sanften Flüssigkeitsgeräusche, die ein ungeborenes Baby hören könnte, kraftvoll zum Leben – sowohl persönlich vor Ort als auch online. Es ist erstaunlich, was man mit einem Wasserspender aus Glas alles anstellen kann: „Es befand sich etwas Wasser darin und ich habe ein Mikrofon hineingehalten. Dann habe ich den Wasserspender vorsichtig gedreht, um das Wasser ein wenig zu bewegen, und es um drei Oktaven nach unten gestimmt. So bekam ich diesen dunklen flüssigen Klang“, erklärt Paul Sumpter. „Dann filtert man es – so als würde man etwas durch eine Wand hören – und fügt eine Menge Hall hinzu, damit es räumlich klingt.“

Paul in the studio, demonstrating his rhino impersonation skills.

*Video mit freundlicher Genehmigung von The Futz Butler

Das Schöne an „The Futz Butler“ ist, dass sie ihren Sound selbst kreieren. Sicher gibt es viele Sound-Bibliotheken. Diesen Kompromiss wollen sie aber nicht eingehen – schon gar nicht bei einem Projekt, das so viel Wert auf kleinste Details erfordert, was das Herzstück von „World Unseen“ ist. Das bedeutete also, dass sie auch den Sound des letzten männlichen Nördlichen Breitmaulnashorns, das Canon Ambassador Brent Stirton fotografiert hat, nachahmen mussten. Lassen wir es Paul Sumpter selbst erklären: „Du bewegst dich und performst, und du bist sozusagen das Nashorn.“

So zu tun, als sei er ein Breitmaulnashorn, gehört für Paul Sumpter zum Tagesgeschäft. Im Video sehen wir, wie er ohne zu zögern auf alle Viere geht. „Ich hatte etwas geschreddertes Papier, einen Gummihandschuh und eine Drahtwollbürste. Dann ahmt man das Geräusch von Schritten nach – das Papier hört sich dabei an wie trockenes Gras. Wenn man auf den Fäusten und nicht auf den Händen geht, klingt das Ganze nach mehr Gewicht.“ Danach kommen die mit der Stimme erzeugten Töne. Es erfordert schon einige Übung, aber Paul Sumpter hat das „Nashorn“ zu einer hohen Kunst gemacht. „Wir geben Atemgeräusche von uns und passen die Tonhöhe an die Grösse eines solchen Tieres an. Dann vokalisieren wir das, was auf dem Bild passiert – die Kratzer hinter seinen Beinen oder das Nashorn hat Schmerzen. Man macht also das Nashorn nach, ohne es zu karikieren. Das ist immer eine Herausforderung.“ Das ist nichts, was viele von uns in ihrem Berufsleben sagen würden. Aber wir arbeiten ja auch nicht alle für ein preisgekröntes Tonstudio.

Doch selbst für Paul Sumpter war „World Unseen“ eine ganz eigene Art von Unternehmung – eine ganz besondere. „Es war ein echtes Privileg, an einem Projekt zu arbeiten, bei dem der Ton im Mittelpunkt der Geschichte steht, und gleichzeitig etwas zu machen, das einen wirklich guten Zweck erfüllt“, sagt er. „Dieses Projekt ist für viele Menschen enorm wichtig.“

Entdecken Sie „World Unseen“ in unserer Online-Ausstellung.

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