Der Untertitel-Trend

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Zwei Füsse mit Socken liegen auf einem roten Kissen, das sich auf einem Tisch befindet. Daneben steht eine Schüssel mit Popcorn. Dahinter ist unscharf ein Fernseher zu sehen, auf dem eine Show mit Untertiteln läuft.

Sind Sie auch ein Mitglied im „Untertitel-Club“? Schalten Sie automatisch die Untertitel ein, wenn Sie Ihre Lieblingssendungen, Filme oder sogar YouTube ansehen – obwohl Sie nicht taub oder schwerhörig sind? Es scheint kaum ein Monat zu vergehen, in dem nicht eine neue Studie darüber berichtet, wie das Lesen zu einem festen Bestandteil des Seherlebnisses geworden ist – allerdings nur bei jungen Leuten. Sicher, die unter 25-Jährigen verwenden deutlich häufiger Untertitel. Allerdings ist auch in anderen Altersgruppen ein Anstieg zu verzeichnen.

Das Phänomen als „Gen Z-Ding“ zu bezeichnen, vereinfacht die Sache zu sehr. Es handelt sich hier eher um ein Zusammentreffen von Ereignissen als um allgemeine Präferenzen. Ausserdem handelt es sich hierbei nicht um ein plötzlich auftretendes Phänomen, wie Canon Ambassador und Filmemacherin Elisa Iannacone zu berichten weiss. „Schon als ich 2013 im Videoteam von Newsweek gearbeitet habe, haben wir alles untertitelt. Uns war damals schon klar, dass viele Leute Dinge auf ihrem Handy ohne Ton abspielen.“ Anstatt uns also mit dem „Wer“ zu beschäftigen, sollten wir vielleicht eher über das „Warum“ nachdenken und vor allem darüber, „welche“ Probleme Untertitel für die Zuschauer lösen.

Maximales Multitasking

„Kinder haben heutzutage keine grosse Aufmerksamkeitsspanne mehr!“ Aber sind das nur die Kinder? Vor einigen Jahren veröffentlichte Microsoft die Ergebnisse einer Studie mit 2.000 Personen. Aus ihr ging hervor, dass die durchschnittliche menschliche Aufmerksamkeitsspanne von zwölf Sekunden im Jahr 2000 auf acht Sekunden im Jahr 2013 gesunken ist. Zum Vergleich: Die Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfischs beträgt angeblich neun Sekunden. Wie zu erwarten, scheint es einen Zusammenhang zwischen dieser Entwicklung und der Verbreitung des „Überall-Internets“ zu geben. Schliesslich sollen Apps ja alles schneller und effizienter machen. Hat das aber auch direkte Auswirkungen auf unsere Geduld? Wie viele von uns haben ihr Handy zur Hand, wenn wir einen Film sehen? „Second Screening“ und „Sidebar Conversations“ (Chatten mit Freunden über Messaging-Apps, während man etwas anderes tut) sind gang und gäbe. Untertitel bieten dabei die Möglichkeit, sich mit einem Blick über wichtige Ereignisse auf dem Fernsehbildschirm zu informieren, während man seinen Gruppenchat fortsetzen oder eine Pizza bestellen kann.

Eine Frau mit Kopfhörern stützt ihr Kinn auf ihren Arm, der auf dem Tisch liegt. In der anderen Hand hält sie ein Handy im Querformat, als würde sie sich darauf ein Video ansehen.

Ob Clips, Serien oder Filme – wir schauen sie auf den verschiedensten Bildschirmgrössen und an jedem nur denkbaren Ort. Da ist es nur logisch, dass wir die notwendigen Anpassungen vornehmen, um das vollständige Bild sehen zu können.

Veränderter Ton

Die Tonqualität hat sich geändert. Mikrofone sind heutzutage so klar und empfindlich, dass die Schauspieler ihren Text nicht mehr so stark „projizieren“ müssen, um gut hörbar zu sein. Das ist ein grosser Fortschritt. Es bedeutet aber auch, dass man manchmal nicht richtig versteht, was gesagt wird – vor allem, wenn gemurmelt, geflüstert oder in einem ungewohnten Sprachmuster geredet wird. Aber was passiert, wenn ein Dialog während einer Verfolgungsjagd stattfindet? Oder bei einer Explosion? Man könnte meinen, es reiche aus, einfach die Lautstärke der Sprache zu erhöhen, um die Geräusche zu kompensieren. Das jedoch wäre für den Betrachter tatsächlich äusserst unangenehm. Das Erhöhen der Lautstärke von Stimmen kann zu Verzerrungen führen. Also die Explosionsgeräusche einfach leiser machen? Das würde wiederum einfach nur seltsam und unrealistisch klingen, vor allem im Kino, wo Dolby Atmos den Klang „umherbewegt“, um ein immersives Klangerlebnis zu schaffen. Natürlich werden die meisten Filme in erster Linie für das Kino gemacht. Wir wissen aber alle, dass sie nicht nur dort angeschaut werden. Das führt uns direkt zu …

Breitbild aus der weiter Entfernung

„Grosse Hollywood-Filme sind für die grosse Leinwand gedacht. Wir mussten als Filmemacher:innen jedoch umdenken“, beklagt Elisa Iannacone. „Wir müssen uns damit abfinden, dass die Filme mit grosser Wahrscheinlichkeit auf einem Tablet oder Handy oder auf diesen kleinen Bildschirmen im Flugzeug angeschaut werden. Und dann stellt sich die Frage, ob sie [die Zuschauer:innen] sich für die höchste Qualität oder den schnellsten Download entscheiden.“ Beim Filmerlebnis unterwegs kann so vieles das Gesehene und Gehörte beeinflussen – die Menschen um einen herum, das Tragen von Kopfhörern (oder auch nicht), die Helligkeit des Bildschirms, Reflexionen und sogar die Tageszeit. Schlechte Tonqualität, Hintergrundgeräusche und schlichte Höflichkeit sind im Allgemeinen die Hauptgründe für die Verwendung von Untertiteln auf kleinen Bildschirmen. Aber wir neigen auch nach wie vor zum Multitasking. „Selbst auf einem Handy kann man den YouTube- oder Netflix-Bildschirm verkleinern, so dass man gleichzeitig in verschiedenen Apps sein kann“, erklärt Elisa Iannacone. „Man kann sein Gehirn auf verschiedenen Kanälen gleichzeitig laufen lassen und immer das auswählen, was man im Moment am wichtigsten findet.“ Das kann dann dazu führen, dass wir ein Filmepos auf der Fläche einer Streichholzschachtel sehen. Und die weissen Untertitel sind dann das Klarste, was auf dem Bildschirm zu erkennen ist.

Im Journalismus heisst es: ‚Man führt mit dem stärksten Bild‘. Vielleicht ist es aber manchmal auch unser stärkstes Wort, denn es könnte dieses Wort sein, das jemanden wirklich fesselt.“

Vom kleinen Bildschirm zur grossen Leinwand

Die gute Seite daran ist, dass die Streaming-Dienste für nicht-englischsprachige Fernsehsendungen und Filme einen absoluten Wendepunkt darstellen. Insbesondere „K-Dramen“ (das sind Serien aus Korea, wie z.B. Squid Game) haben eine riesige Fangemeinde gewonnen. Sie sind – zumindest teilweise – für die zunehmende Verwendung von Untertiteln verantwortlich (Synchronfassungen sind zwar verfügbar, werden aber von einem jüngeren Publikum als „ein bisschen cringe“ angesehen). Squid Game und vergleichbare Produktionen haben zweifellos Millionen von Zuschauer:innen dazu gebracht, ein breiteres Spektrum an Fernsehserien und Filmen zu erkunden. Das ist ein Trend, der nicht nachzulassen scheint. Wie Bong Joon-ho, der Regisseur des koreanischen Horrorfilms Parasite in seiner Oscar-Rede sagte: „Sobald Sie die zentimeterhohe Barriere der Untertitel überwunden haben, werden Sie so viele weitere erstaunliche Filme kennenlernen.“

Wir haben bereits erlebt, wie sich digitale Plattformen auf die Länge von Musikstücken ausgewirkt haben: Laut Billboard sind die Top-Ten-Hits mit weniger als drei Minuten Laufzeit um fast 40% gestiegen. Ist die zunehmende Verwendung von Untertiteln ein Indikator dafür, dass dies auch in der Filmindustrie der Fall sein wird? „Ich glaube, wir müssen einfach wissen, dass nicht jeder einen 90-minütigen Film oder Dokumentarfilm anschauen wird“, sagt Elisa Iannacone. „Das ist nichts persönliches. Serien sind heute so erfolgreich, weil sie kürzer sind. Psychologisch gesehen geht man dabei eine geringere Verpflichtung ein: nur zwanzig oder dreissig Minuten lang. Die Ironie dabei ist jedoch, dass die Leute am Ende einen ganzen Tag damit verbringen, diese Serie anzuschauen.“ Elisa Iannacone räumt ein, dass sich die Art und Weise, wie die Menschen Filme konsumieren, zweifellos verändert hat. Die vielseitige Verfügbarkeit von Filmen hat dazu geführt, dass Menschen einfach einen Film anschalten können, um einzuschlafen, oder in den sie reinschauen, während sie andere Dinge tun. „Das bedeutet meiner Meinung nach aber nicht, dass wir aufhören sollten, sie [längere Filme] zu machen. Es gibt nämlich immer noch eine kleine Gruppe von Leuten, die sich wirklich dafür interessieren.“

„Aber“, sagt sie hoffnungsvoll, „das Pendel schwingt im Laufe der Zeit doch immer von einer Seite zur anderen, nicht wahr? Vielleicht werden sich die Menschen irgendwann danach sehnen, sich länger auf eine Sache einzulassen – ganz ohne Unterbrechung.“

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