Es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass von den vielen Reaktionen auf unsere World Unseen - Ausstellungen, die meisten von purer und sehr emotionaler Wertschätzung geprägt sind. Von unseren blinden und sehbehinderten Besucher:innen hörten wir eines immer wieder: Schon vor dem Erleben der Fotografien im Reliefdruck, dem Hören der Audiodeskription oder dem Berühren der Blindenschrift waren sie einfach nur froh, dass ihre Bedürfnisse endlich einmal berücksichtigt wurden. Und nachdem sie die Bilder tatsächlich erlebt hatten, äusserten sie oft die Hoffnung, dass diese Art von Fürsorge und Aufmerksamkeit zum Alltag werden könnte.
„Es war der Gedanke, endlich einmal wahrgenommen zu werden“, sagt Filip Vandenbempt, Senior Manager Corporate Communications and Marketing Services für die Benelux-Länder. Er war für die Organisation der belgischen Ausgabe von World Unseen verantwortlich. Und in der Stadt Mechelen, in der Nähe von Antwerpen, war Canon Ambassador und belgische Prominente Lieve Blancquaert ebenfalls begeistert, dass ihre Wir sind Europa (Wij zijn Europa) - Ausstellung ein Teil der World Unseen - Tour durch Europa, Nahost und Afrika war.
Die Ausstellung fand im Cultuurcentrum Mechelen (ein renommiertes Zentrum für Kunst und Kultur) im Rahmen eines stadtweiten Festivals mit dem Titel „Construct Europe“ statt. Belgien stellt momentan den Vorsitz des Europäischen Rates, was auf diesem Festival gebührend gefeiert wurde. Wie nicht anders zu erwarten, sorgte die Kombination so vieler sich überschneidender Ereignisse für eine äusserst erfolgreiche Veranstaltung. Während des zwölftägigen Festivals wurde ein grosser Publikumsandrang verzeichnet.
Einer dieser Besucher war Kenny Demulder, der im Alter von acht Jahren sein Augenlicht verlor. Für ihn war es die seltene Gelegenheit, den Inhalt eines Bildes vollkommen selbständig zu erfassen. Er erklärt: „Normalerweise bin ich auf die Beschreibungen der Freiwilligen von ‚Be My Eyes‘ oder von künstlicher Intelligenz angewiesen. Diese geben mir aber nur ihre Interpretation der Realität wider. Hier kann ich die Fotos aber selbst erfühlen, und mir ganz allein im Kopf ein Bild davon machen. Das ist eine Art von Freiheit.“
Die Brailleliga und „Licht en Liefde“, eine Organisation, die sich für die Verbesserung der Lebensqualität von blinden und sehbehinderten Menschen einsetzt, haben dazu beigetragen, Lieve Blancquaerts Geschichten über Europa zum Leben zu erwecken. Beide Organisationen unterstützen blinde und sehbehinderte Menschen in ganz Belgien śeit mehr als einem Jahrhundert. Sie standen mit Rat und Tat bei der Durchführung, Kuration und Installation der Ausstellung zur Seite. Die Technologie von „Licht en Liefde“ wurde genutzt, um Zugang zu den Audiobeschreibungen der Ausstellung zu erhalten. Die Brailleliga organisierte geführte Gruppenbesuche für alle, die eine intensivere Erfahrung mit einer Gruppe wünschten.
Die Kunsthal Mechelen (Kunsthalle Mechelen) war der perfekte Rahmen für Lieve Blancquaerts Arbeiten. Sie bot mit ihrem minimalistisch ausgestatteten Raum ein Maximum an Platz für Gruppenbesuche, Blinden- und Assistenzhunde, Rollstühle und andere Mobilitätshilfen. Wer wollte, konnte sich hinsetzen und sich ganz auf die Fotografien einlassen, um jede einzelne Linie des Drucks zu erforschen. So war es möglich, Details zu erfassen, die in anderen Formaten nicht zur Verfügung gestanden hätten. „Es gibt ein Bild von einer schwangeren Frau. Die Reaktionen darauf waren unglaublich“, erinnert sich Filip Vandenbemp. „Ich hörte Aussagen wie ‚Man kann ihren Bauch ganz genau fühlen. Das sind nicht nur erhabene Linien – man spürt genau, wie es nach aussen und unten geht.‘“
Filip Vandenbemp war jeden Tag bei der Ausstellung anwesend und hat viel Zeit mit den blinden oder sehbehinderten Besucher:innen verbracht. Für ihn war dies nur einer von vielen besonderen Momenten während der zwölftägigen Ausstellung. „Durch die unterschiedlichen Hilfsmittel wie Reliefdruck, Audiobeschreibungen, Blindenschrift und Geräuschkulissen konnte jeder die Ausstellung auf seine ganz eigene Weise erleben“, sagt er. „Die meisten blinden und sehbehinderten Besucher:innen blieben zwischen zwei und drei Stunden in der Ausstellung. Jedes Detail muss mit viel Zeit erforscht werden, damit sich dann alles zu einem Bild zusammenfügt. Eine Person, die in einem Ruheraum sass, sagte mir zum Beispiel: „Keine Sorge, die Ausstellung gefällt mir sehr gut. Aber nachdem ich das Bild berührt habe, muss ich mich hinsetzen und in Ruhe der Geschichte zuhören. Erst dann kann ich beides in meinem Kopf miteinander verbinden.“
Das ist genau die Art und Weise, wie Lieve Blancquaert ihr Projekt erlebt sehen möchte. Jede Geschichte, die sie aus Europa erzählt, besteht aus verschiedenen Teilen – den Bildern, die sie aufgenommen hat, und den schönen Worten, die sie in ihrem Buch und Hörbuch dazu sagt. Und natürlich waren da noch die Fernsehserie und die einstündige Dokumentation, die ebenfalls auf der Ausstellung gezeigt wurde. Jedes Element pulsiert vor Leben. Die Präsentation der Bilder über das Medium des Reliefdrucks verleiht diesen sehr persönlichen Geschichten über Leben, Liebe, Ängste und Hoffnungen, neue Tiefen und Details. Die Textur und Form jedes einzelnen Details mit den Fingerspitzen zu spüren, gibt We Are Europe eine ganz neue Dimension – vielleicht ein noch grösseres Gefühl der Verbundenheit.
Und die Kombination dieser Ausstellung mit World Unseen fügt eine neue Geschichte von Europa hinzu. Technologien können sich in so vielen verschiedenen und praktischen Wegen zeigen. Wir leben in einer Zeit der Menschheitsgeschichte, in der jeder Tag das Potenzial hat, Veränderungen für behinderte Menschen zu bewirken. Lieve Blancquaert zeigt uns unsere kollektive Hoffnung. Und World Unseen eröffnet ganz neue Möglichkeiten.
Erfahren Sie mehr über Lieve Blancquaerts We Are Europe (Wij zijn Europa) Projekt und ihre Suche nach Gemeinsamkeiten in allen Ländern der EU. In unserer World Unseen Online-Ausstellung können Sie sehen, wie die Fotografie auch von Menschen mit Sehbehinderung erlebt werden kann.
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