Hast du je darüber nachgedacht, warum die Anweisung „Lege deine Finger auf dein Schlüsselbein“ Frauen vorbehalten ist? Oder wie ein ausfallender Schritt und intensiver Blick angeblich als stark und männlich angesehen wird? Seit den 1970er Jahren wird den stilisierten Darstellungen von Männern und Frauen vorgeworfen, unerreichbar hohe Massstäbe für Schönheit, Gesundheit und Glück zu setzen und gleichzeitig zu definieren, wie Weiblichkeit und Männlichkeit aussehen. Es ist also an der Zeit umzudenken.
„Die Gesellschaft war schon immer von Perfektion besessen, wodurch sich die meisten von uns nie in ihrer eigenen Haut wohlfühlen, weil wir einfach nicht genug sind“, sagt Musik- und Modefotograf Tarik Carroll, der mit seinem EveryMAN Project die Konzepte männlicher Schönheit reformieren möchte. „Ich bezeichne das EveryMAN Project gerne als eine visuelle Unterhaltung über männliche Ästhetik“, so Carroll weiter. „Im Projekt geht es um ein positives Körpergefühl, es zeigt ein breites Spektrum von Männlichkeit und hinterfragt, was es bedeutet, ein Mann zu sein, und ein ehrliches Gespräch darüber zu führen.“
Wodurch wird eine Pose ausdrucksstark? Fünf Tipps für moderne Porträtaufnahmen
Canon Botschafterin und Porträt- und Modefotografin Wanda Martin beschäftigt sich in ihren Arbeiten auch mit Diversität und stellt Geschlechterklischees in Frage. Seit ihrem Postgraduate-Projekt „Lovers“, das Paare aller Geschlechter und unterschiedlicher sexueller Ausrichtung in der intimen Atmosphäre ihrer Betten ablichtete, hat Martin mit Marken und Redaktionen wie Vogue, Wonderland, i-D und Numéro Russia gearbeitet und dabei Porträts aufgenommen, die „den traditionellen Anforderungen an Schönheit entfliehen“. Stattdessen hat sie sich darauf konzentriert, was ihre Motive individuell werden lässt.
„Ich glaube, viele Marken erkennen, dass sie in der Verantwortung stehen, ein vielseitiges Schönheitsideal zu vermitteln“, sagt Martin. „Vielleicht folgen einige von ihnen auch nur dem Trend, aber letztendlich ist das auch in Ordnung, da die Botschaft so ein grösseres Publikum erreicht.“
Besitzt du eine Canon Ausrüstung?
Das gesamte Gespräch findest du in dieser Episode des Canon Podcasts „Shutter Stories“:
Klischees überdenken
Was genau ist geschlechterspezifisches Posieren? „Vieles ist mit Geschlechterrollen verknüpft“, erklärt Carroll. „Die weiblichen Standardposen mit einem gewölbten Rücken, mit durchgedrückten Schultern... Für Männer sind dies die Hände auf den Hüften, ein Verlängern des Halses und der Blick nach oben.“
Die stereotypen Bilder von Männern in den Medien haben Carroll dazu veranlasst, eine vielseitigere Darstellung von männlicher Schönheit anzuvisieren. „Die Bewegung für das positive Körpergefühl von Frauen hat viel früher angefangen“, sagt er. „Frauen sprechen eher über ihre Gefühle und Körperunsicherheiten. Wir wurden darauf programmiert, über diese Dinge nicht zu reden – wir sollen uns „nicht so anstellen“ und „unseren Mann stehen“. Frauen sprechen da schon eine ganze Weile drüber, und es gibt schon seit mehr als zehn Jahren Übergrössenabteilungen. Männliche Modelle werden von Modeagenturen erst seit zwei oder drei Jahren für Übergrössen engagiert.“
Martin findet auch, dass bei Männern mehr Hürden genommen werden müssen als bei Frauen. Ihre Ästhetik wird von klassischen Gemälden inspiriert, aber mit einem deutlichen Unterschied. „Wenn du dir Gemälde aus den letzten Jahrhunderten ansiehst, oder auch Fotos vom Anfang dieses Jahrhundert, dann war der weibliche nackte Körper immer das Hauptaugenmerk“, erklärt sie. „Es sind immer Frauen, die auf Sofas liegen, nackt oder halbnackt, und dich, den Zuschauer, ansehen.“
Martins neuestes Projekt stellt dieses Konzept auf den Kopf und schafft dabei neue Darstellungen von Männlichkeit. Männer posieren bei sich zu Hause, liegen dabei auf Sofas und zeigen ihre Verletzlichkeit. „Ich arbeite mit allen Arten von Männern – Drag-Künstler, grosse Kerle, ältere Herren“, sagt sie.
In einer Welt, in der Kunden immer häufiger eine diverse Darstellung verlangen und Unvollkommenheit und Unterschiede schnell zum neuen Ideal werden, verraten Martin und Carroll fünf Tipps für ausdrucksstarke moderne Porträts.
1. Schärft euer Bewusstsein
Die Wahrnehmung und Verhaltensweisen beider Geschlechter werden stark durch visuelle Medien beeinflusst, und hier kommen Fotografen ins Spiel. „Es ist wichtig, dass du dein Bewusstsein schärfst. Schau dir verschiedene Veröffentlichungen an, die Gespräche, die gerade zum Thema Gender-Sprache geführt werden“, rät Carroll. „Dann wirst du feststellen, dass Marken versuchen, integrativer zu werden. Es gibt einen Wandel, sei dir der Änderungen bewusst und offen für Kritik.“
Wenn du ein Klischee verstehst und erkennst, dann ist es nach Martins Ansicht leichter, es zu vermeiden. Sie fügt hinzu: „Wenn ich mit Frauen zusammenarbeite, dann möchte ich sie nicht allzu sexualisiert darstellen. Ich möchte sie stark und stolz aufnehmen – Einstellung ist definitiv wichtig.“
2. Konzentriert euch auf Individualität
„Lerne die Person kennen, von der du Aufnahmen machst“, sagt Carroll. „Frage sie, womit sie sich identifiziert, wenn du denkst, dass das gefragt werden sollte. Indem du deine Motive kennenlernst, kannst du ihre Individualität erkennen und zeigen.“
Martin rät auch dazu, sich darauf zu konzentrieren, „was das Motiv von anderen abhebt“. „Wenn deinem Motiv ein Zahn fehlt, dann solltest du das zeigen. Wenn du eine wunderschöne Frau mit Kurven hast, dann solltest du dies zeigen. Wir sollten uns als Fotografen definitiv auf diese Wesensmerkmale konzentrieren und Diversität feiern.“
„Bei Modeagenturen für Männer ging es vor zehn Jahren nur um markante Kieferknochen und Sixpacks – das war damals das Schönheitsideal“, sagt Carroll. „Bei der Arbeit in der Modebranche wurde mir gesagt, dass wir einen Traum verkaufen. Aber du solltest hinterfragen, wessen Traum das ist, denn, soweit ich weiss, träumen wir alle etwas anderes. Alle verdienen es, dargestellt zu werden.“
Wird die Modefotografie inklusiver?
3. Seid Beobachter
„Wenn ich manche Personen bitte, für mich zu posieren, erzähle ich ihnen dabei eine kleine Geschichte“, erklärt Martin. „Ich bin dabei so etwas wie ein Regisseur, ich erzähle meinen Schauspielern, wie sie posieren sollen und welche Rolle sie für mich spielen sollen. Wenn ich mit Personen arbeite, die auf der Strasse gecastet wurden, oder mit einem Prominenten, einem Musiker oder einem Schauspieler, dann ändert sich meine Rolle ein bisschen und ich werde eher zum Beobachter, damit ich ihre Persönlichkeit erleben und ihren Charakter kennenlernen kann.“
4. Seid authentisch
„Ich kann einem Porträt ansehen, wenn es zu gestellt ist. Ich kann sehen, wenn es nicht ehrlich ist“, sagt Carroll. Bei der Darstellung geht es darum, authentisch zu sein. „Es ist eine Zusammenarbeit. Es geht wirklich darum, das Motiv von seiner besten Seite zu zeigen und dafür zu sorgen, dass es sich gut fühlt. Wenn es sich wohlfühlt, kannst du diese Zwischenmomente aufnehmen. Am Ende werden die Aufnahmen mit diesen Momenten ausgewählt, weil sie natürlich und ehrlich sind. Es ist egal, welche gekünstelten Konzepte sich Unternehmen überlegen. Wir Menschen möchten uns mit etwas verbinden, das sich echt anfühlt.“
5. Schafft eine Wohlfühlatmosphäre für eure Motive
Das ist sicher kein neues Konzept im Jahr 2021, aber es gilt immer noch: Damit du ein authentisches Bild von der Person aufnehmen kannst, die vor dir steht, muss sie sich wohlfühlen. „Ich mache meine Musik immer richtig laut“, sagt Martin. „Wir müssen Spass am Set haben! Das ist das Wichtigste.“
Carroll stellt derweil eine Playlist zusammen, die dem Geschmack des Motivs entspricht. Aber am wichtigsten, so sagt er, ist es „eine gute Umgebung für alle Motive am Set zu schaffen. Das ist die Grundlage für gute Porträtaufnahmen.“
Martin merkt an, dass bestehende Vorurteile von Männlichkeit oftmals tief verankert sind, und nicht jeder bereit ist, facettenreichere Abbildungen auszuprobieren. „Wenn ich ältere Männer darum bitte, so für mich zu posieren, beispielsweise mit sanften Händen, dann sind sie oftmals viel schwieriger zu überzeugen. Sie empfinden das als zu weiblich und fühlen sich nicht wohl dabei.“
Es lohnt sich, Zeit und Energie dafür aufzuwenden, diese Motive aus der Reserve zu locken. „Ziel ist es, durch meinen weiblichen Blick diverse, mannigfaltige oder nicht-hegemoniale Ausdrücke von Männlichkeit zu schaffen“, stellt Martin fest.
Wanda Martins Ausrüstung
Das Kit, das die Profis für ihre Fotos verwenden
Kameras
Canon EOS R6
Die EOS R6 und ihre vollkommen neuen Funktionen und Technologien sorgen dafür, dass du deine Liebe zur Fotografie ganz neu entdeckst. Du wirst deine Motive auf eine neue Art und Weise sehen und fotografieren und deinem visuellen Storytelling eine ganz neue Dimension geben. „Die hohe ISO-Leistung und der Autofokus mit Gesichtserkennung gefallen mir besonders“, sagt Martin.
Canon EOS-1D X Mark III
Das ultimative kreative Werkzeug mit erstklassiger Leistung bei wenig Licht, Deep-Learning-AF und 5,5K RAW-Video. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, sagt Martin.
Canon EOS 5D Mark II
Martins Ersatzkamera ist das Vorgängermodell der Canon EOS 5D Mark IV, eine vielseitige und robuste Kamera für wunderschöne Aufnahmen in jeder Situation. „Ich habe sie jetzt schon seit acht Jahren und die meisten meiner Fotos damit aufgenommen. Wir haben viel zusammen erlebt“, sagt Martin. „Jetzt habe ich sie meistens bei meiner Ausrüstung als Ersatzkamera dabei, für alle Fälle.“
Objektive
Canon RF 24-70mm F2.8 L IS USM
Das unverzichtbare Objektiv bietet hohe Lichtstärke, Bildstabilisator und Nano USM Motor für eine besonders leise Fokussierung. „Ich arbeite gerne schnell, und diese professionellen RF Zoomobjektive bieten mir die Vielseitigkeit und Dynamik, die ich benötige, um im Handumdrehen von Porträts auf Ganzkörperaufnahmen zu wechseln“, sagt Martin.
Canon EF 24-70mm f/2.8 L II USM
Ein professionelles Standard-Zoomobjektiv, das neben erstklassiger Abbildungsqualität auch eine hohe Lichtstärke von 1:2,8 über den gesamten Zoombereich bietet.
Canon EF 24-105mm f/4L IS II USM
Ein Standard-Zoomobjektiv, das bei Foto- und Videoaufnahmen den entscheidenden Unterschied macht. Ideal für aussergewöhnliche Bildqualität bei leichter Ausrüstung.
Zubehör
Canon Speedlite 600EX II-RT
Mit der neuesten Version des Speedlite, mit dem Martin arbeitet, kannst du Lichtverhältnisse steuern, vor und hinter der Kamera. „Ich habe es ganz oft verwendet, vor allem wenn ich Aufnahmen von Bands oder am Abend bei wenig Licht gemacht habe“, sagt Martin. „Ich habe es vorsichtshalber bei meiner Ausrüstung dabei – es ist besser, auf jede Situation vorbereitet zu sein.“
Ähnliche Artikel
Zeit zum Nachdenken: Tipps für Selbstporträts
Komposition, Beleuchtung, Requisiten ... Erlerne mit den Porträtprofis Wanda Martin und Marina Karpiy die Kunst der Selbstporträtfotografie.
Wrestler mit Objektiven der L-Serie fotografieren
James Musselwhite erzählt, wie ihm mit Canon Objektiven der L-Serie gestochen scharfe, farbenfrohe Bilder für sein Projekt „Portrait of a Wrestler“ gelangen.
Die besten Objektive für die Porträtfotografie
Guia Besana, Félicia Sisco, Helen Bartlett, James Musselwhite und Ilvy Njiokiktjien verraten, welche Profi-Objektive sie für die Porträtfotografie am liebsten nutzen.
Strangely Familiar: Die fiktiven Frauen von Guia Besana
Guia Besana spricht über ihre neueste Bilderreihe „Strangely Familiar“ („Seltsam vertraut“) – ein Projekt inspiriert durch ihre eigene Krankheitsgeschichte und die wahre Geschichte der Darstellerin einer Monstrositätenschau des 19. Jahrhunderts.