2020 war wohl für die meisten Menschen auf der Welt ein Jahr der erzwungenen Veränderung – auch Netra Venkatesh musste nicht mehr jeden Tag ihren Tornister packen und sich auf den Weg zur Schule machen, sondern sass, getrennt von ihren Mitschülern, vor dem Computer. Ihr wurde schnell klar, dass der Fernunterricht ein enormes ungenutztes Potenzial bietet. Richtig eingesetzt, wäre er für viele junge Menschen über die traditionell in der Schule gelehrten Fertigkeiten und Fächer hinaus von Nutzen. „Lebenskompetenz erlernt man normalerweise mit den Erfahrungen die man mit dem Eintritt in das Berufsleben macht",erklärt sie. „Überall in den Entwicklungsländern habe ich aber festgestellt, dass junge Frauen gar keine Möglichkeit haben, in das Berufsleben einzusteigen, so dass es für sie nicht einfach ist, sich diese neuen Fähigkeiten anzueignen.“
Entschlossen und leidenschaftlich für die Gleichstellung der Geschlechter eintretend, gründete sie SpunkGo Social Media for Good, eine reine Mädchen-Organisation, die Webinare für junge Frauen in Entwicklungsländern veranstaltet. Heute gibt es bereits zwanzig Filialen in dreissig Ländern, darunter Kenia, Malawi, Bangladesch und Indien und mehr als 5.000 junge Frauen gehören dieser Organisation bereits an. Letztes Jahr wurde sie bei den jährlichen Global Good Awards zum „Under 16 Canon Young Champion of the Year“ ernannt. Aber Gründerin und Hauptverantwortliche einer Bildungsorganisation zu sein, stellt eine unglaubliche Lernkurve dar. Was hat Netra also auf ihrem Weg gelernt?
1) Die Plattform nutzen, um anderen eine Stimme zu geben.
„Es ist wichtig, eine andere Perspektive auf das Leben und die Welt um uns herum einzunehmen. Es ist aber genauso wichtig, denen zu zu hören, die bereits viele Erfahrungen gemacht haben – denn wir sind die zukünftige Generation. Die Ideen, die wir jetzt formulieren und teilen, sind die Ideen, die später realisiert werden. Mitglied bei SpunkGo zu sein, bedeutet nicht nur, an diesen Webinaren teilzunehmen und zu lernen, sondern auch, Teil einer grossen Gemeinschaft zu sein. Viele von uns machen gemeinsame Projekte, wie Spendenaktionen und Lese-Marathons. Die Perspektiven junger Menschen sind auf jeden Fall viel optimistischer, als man vielleicht erwartet hätte. Und es tut gut, in einer Zeit, in der wir all diese Dinge über die Klimakrise, die Wirtschaft und so weiter hören, ein wenig Freude zu erleben.“
2) Jeder, dem ich begegne, kann mir etwas beibringen.
„Ich habe so viele tolle Menschen auf meinem Weg getroffen. Einmal habe ich ein Interview mit einem Mädchen geführt, das als Journalistin in London arbeitet, aber ursprünglich aus Afrika stammt. Sie fragte mich nach Themen, an die ich bisher noch nicht gedacht hatte, weil ich einige dieser Dinge für völlig selbstverständlich gehalten habe. Sie sprach zum Beispiel über den Mangel an Menstruationsprodukten. Da ich hierzu jederzeit Zugang habe, habe ich bisher nie daran gedacht, dass dies ein Problem darstellen könnte. Die Teilnahme an dieser Reise hat mir die Augen für die ganz einfachen Dinge geöffnet. Viele SpunkGo-Mitglieder haben keinen Internetzugang, weshalb wir begonnen haben, unsere Webinare aufzuzeichnen, damit sie sich diese auch offline ansehen können. Ich denke, es sind wirklich so viele kleine Dinge, die ich als ganz selbstverständlich ansehe, zu denen andere aber keinen Zugang haben – das ist schockierend.“
3) Alleine geht es nicht.
„Meine längste Partnerschaft und wahrscheinlich auch diejenige, die mir am meisten am Herzen liegt, besteht mit einer Organisation namens Keynote Woman Speakers. Viele der Referenten, die SpunkGo-Webinare gehalten haben, stammen aus dieser Organisation. Sie machen das ehrenamtlich, aber es macht ihnen viel Freude, ihre Zeit kostenlos zur Verfügung zu stellen. Am Anfang war mein Anliegen noch nicht vertrauenswürdig, und es war daher recht schwierig, Freiwillige für die Vorträge zu finden. Ich würde sagen, dass es durch diese Partnerschaft viel einfacher geworden ist und sie auch der Organisation als Ganzes mehr Glaubwürdigkeit verleiht. Und dafür bin ich sehr dankbar. Ich pflege auch eine Partnerschaft mit einer kanadischen Organisation namens Simbi Foundation. Ich finde, sie leisten eine unglaubliche Arbeit. Sie versuchen, den Zugang zu Bildung in Gebieten zu erleichtern, die wir bisher noch nicht erreicht haben, nämlich in armen Regionen. Ich bin also sehr dankbar, dass ich mit ihnen zusammenarbeiten kann. Ich hatte einfach Glück, so viele wunderbare Menschen kennenzulernen, die ein wirklich grosses Herz haben und mir helfen wollten.“
4) Die eigene Inspiration ist genauso wichtig wie andere zu inspirieren.
„Ich habe so viele Menschen kennengelernt. Einige sind noch jünger sind als ich, etwa dreizehn oder vierzehn Jahre alt, und tun ganz unglaubliche Dinge. Ich möchte da zum Beispiel Hasini LakshmiNarayanan nennen. Sie ist eine tamilische Journalistin und TEDx-Rednerin und hat ihre eigene Organisation. Aber sie ist so jung, dass es unglaublich inspirierend wirkt, wenn sie schon derart motivierende Vorträge hält. Ich war noch nie gut darin, öffentlich Reden zu halten. Ich glaube, ich musste meine Fähigkeiten in der Öffentlichkeit zu sprechen, erst entwickeln, als ich mit meinem Projekt anfing. Darum glaube ich, dass diese Fähigkeit öffentlich zu reden, bei ihr angeboren ist. Wann immer ich es einrichten kann, sehe ich sie und es ist jedes Mal fantastisch.“
5) Leidenschaftlich sein und grosse Träume haben.
„Ich denke, die Leute würden mich als sehr leidenschaftlich beschreiben. Eine Träumerin. Von Natur aus ausdrucksstark. Ich habe eine Stimme, und ich habe keine Angst, sie zu verwenden. Die Unternehmen, die ich gegründet habe, sind dadurch entstanden, dass ich zum ersten Mal über etwas nachgedacht und in die Tat umgesetzt habe. Aber ich habe viele grosse Träume, und einige davon werde ich verwirklichen können. Andere sind vielleicht schwieriger umzusetzen und etwas weit hergeholt. Aber sie sind immer noch da. Es beginnt mit einer Idee und dem brennenden Wunsch, etwas zu verändern.
Leidenschaft ist dabei wirklich wichtig. Man muss die Sache finden, die einem am Herzen liegt, und sie dann wirklich durchziehen. Denn wenn man leidenschaftlich genug ist, wird einen keine Herausforderung und kein Rückschlag demotivieren. Es gab definitiv Zeiten, in denen ich wirklich hart arbeiten musste – nur die Leidenschaft in mir trieb mich dabei an, das Projekt zu vollenden. Ich denke, wenn man wirklich den Willen und den Wunsch hat, dann gibt es nichts, was einen aufhalten kann.“
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