DOKUMENTATION

Das Ausräumen von Machtungleichheiten mit Sarah Waiswa

Die Dokumentar- und Porträtfotografin Sarah Waiswa spricht über das Ausräumen geschlechtsspezifischer Vorurteile, das Hinterfragen von Geschichten, darüber, wie man wieder zu sich selbst findet und warum man den Stimmen afrikanischer Frauen Gehör verschaffen muss.
Ein Schwarzweiss-Porträt einer Frau mit geflochtenen Haaren, die von fünf Luftballons mit Gesichtern umgeben ist.

Wenn es um das Fotomotiv und den Aufnahmeort geht und darum, was auf dem Bild abgebildet werden soll, ist laut der Dokumentar- und Porträtfotografin Sarah Waiswa die Zusammenarbeit mit ihren Modellen entscheidend. Sie persönlich gesteht ein: „Ich interessiere mich viel mehr für die Geschichten von Frauen, Geschichten über Frauen, Probleme hinsichtlich Frauen.“ Aufgenommen mit einer Canon EOS 5D Mark IV mit einem Canon EF 50mm f/1.2L USM Objektiv bei einer Verschlusszeit von 1/160 Sek., Blende 1:3,5 und ISO 100. © Sarah Waiswa

Afrikanische Frauen dabei zu unterstützen, ihre Karrieren als Fotografinnen zu fördern, ist für die Canon Botschafterin Sarah Waiswa zu einer sehr wichtigen Aufgabe geworden. Die Dokumentar- und Porträtfotografin wurde in Uganda geboren und wuchs in Kenia auf. Sie lebte zehn Jahre lang in den USA, wo sie studiert und gearbeitet hat, bevor sie 2010 nach Kenia zurückging, wo sie nun lebt.

Aufgrund dieser aussergewöhnlich internationalen Perspektive begeistert sie sich für das Entdecken moderner Identitäten innerhalb des afrikanischen Kontinents. Sie gibt zu, dass ein Teil dieser Aktivität wie „eine Art Selbstfindung ist. Du nutzt Fotos, um die Geschichten von Menschen zu erzählen und wirfst dann einen Blick nach innen, um deine eigene Geschichte zu verstehen.“ Sie ergänzt jedoch: „Ich habe Soziologie und Psychologie studiert und interessiere mich sehr für ihre Geschichten. Ich denke, dass mein Hintergrund beeinflusst, für welche Themen ich mich interessiere. Was mich jedoch noch mehr interessiert ist die Zusammenarbeit, die Arbeit mit den Menschen, die ich fotografiere, und sicherzustellen, dass ich bei dieser Arbeit meine eigene Einstellung nicht auf sie übertrage, sondern wir gemeinsam etwas schaffen.“

Ein Schwarzweiss-Porträt von Sarah Waiswa mit Rundum-Sonnenbrille und geflochtenen Haaren.

Die Reaktion auf das Netzwerk „African Women in Photography“, das Waiswa (im Bild) mitgegründet hat, ist positiv ausgefallen. „Ich glaube, dass Frauen froh sind, einen Ort zu haben, an dem sie sich mit anderen Fotografinnen austauschen können – einen sicheren Ort, an dem sie ihre Meinungen austauschen können. Alle waren soweit eine grosse Hilfe.“ Aufgenommen mit einer Canon EOS 5D Mark III (mittlerweile ersetzt durch das Nachfolgemodell Canon EOS 5D Mark IV) mit einem Canon EF 50mm f/1.4 USM Objektiv bei einer Verschlusszeit von 1/100 Sek., Blende 1:7,1 und ISO 200. © Sarah Waiswa

Ein Schwarzweissbild mit Mehrfachbelichtung von der Fotografin Sarah Waiswa, die eine Canon Kamera hält.

Fotografinnen, die gerne dem Netzwerk „African Women in Photography“ beitreten möchten, können dies über Social Media Kanäle (@africanwomenphotograph) oder die E-Mail-Adresse auf der Webseite tun, sagt Waiswa. „Hinsichtlich der Mitgliedschaft können Frauen uns einfach ihr Portfolio senden und sagen: ‚Ich würde gern ein Mitglied werden‘.“ Aufgenommen mit einer Canon EOS 5D Mark III mit einem Canon EF 50mm f/1.4 USM Objektiv bei einer Verschlusszeit von 1/100 Sek., Blende 1:1,8 und ISO 500. © Sarah Waiswa

Der Kampf gegen Vorurteile und die Unterstützung von Nachwuchstalenten

Die Hauptthemen von Waiswas Fotos sind Zusammenarbeit und die Beseitigung von Machtungleichheiten. Sie ist die Mitgründerin des Netzwerks „African Women in Photography“, das die Arbeiten weiblicher und nichtbinärer Menschen aus Afrika feiert. Gleichzeitig wird die weibliche Sichtweise gefördert, die in diesem Berufsfeld häufig unterrepräsentiert ist.

„Ich glaube, die Fotografiebranche wurde stets von weissen Männern geprägt. Wir möchten natürlich mehr Geschichten von Frauen, um genauer zu sein von afrikanischen Frauen, sehen“, erklärt Waiswa. „Afrika ist ein vielfach fotografierter Kontinent. Du wirst jedoch feststellen, dass die Fotos, vor allem jene aus der Vergangenheit, von weissen, männlichen Fotografen stammen.“

„Wir möchten die Möglichkeit nutzen, um unsere eigenen Geschichten zu erzählen und um zu beweisen, dass wir genauso kompetent sind und unsere Geschichten genauso wichtig sind. Auch wir haben eine Sichtweise, und diese muss anerkannt werden.“

Das Netzwerk hat auch eine praktische Seite. Waiswa hat es mit der Hoffnung ins Leben gerufen, anderen Frauen die Unterstützung zu bieten, die sie gerne zu Beginn ihrer Karriere in der Branche bekommen hätte. „Ich stamme aus einer Kultur, in der man sich traditionell nicht für eine künstlerische Laufbahn entschieden hat“, erklärt sie. „Als ich mich dazu entschloss, an diesem Projekt zu arbeiten, habe ich mir gedacht ‚Was hätte für mich als Frau, die sich für eine Karriere als Fotografin interessiert, einfacher sein können? Was war für mich nicht möglich?‘“

„Was mir geholfen hätte, wäre jemand gewesen, mit dem ich sprechen hätte können und dem ich die Frage stellen hätte können ‚Wie baue ich eine erfolgreiche Karriere als Fotografin auf?‘. Denn letzten Endes gibt es immer noch praktische Aspekte, die du berücksichtigen musst, damit deine Karriere als Fotografin erfolgreich wird.“

Ein Techniker mit weissen Handschuhen reinigt den Sensor einer Canon Kamera.

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Im Rahmen des Netzwerks können Mitglieder durch Mentoren lernen. Wir bieten Links zu Fördermöglichkeiten. Gleichzeitig bietet das Netzwerk einen Ort, an dem man sich austauschen und gegenseitig unterstützen kann, was besonders wichtig ist. „Die Gemeinschaft bietet uns eine Plattform, auf der wir über die Herausforderungen sprechen können, vor denen wir stehen. Wir können dort Informationen teilen, unsere Ressourcen bündeln und versuchen, das Zurechtfinden in der Branche auf eine Weise zu vereinfachen, die ohne diese Plattform nicht möglich gewesen wäre“, so Waiswa.

Eine Frau mit blasser Haut in einem langen Kleid, die auf einem Kissen bei der Tür einer Blechhütte mit bunt angemalten Wellblechplatten sitzt und dabei ihren Arm hebt, als müsse sie sich vor der Sonne schützen.

Ein Bild von Waiswa aus der Reihe „Stranger in a Familiar Land“, auf dem das Modell Florance Kisombe vor Kibera, dem grössten Slum Nairobis, abgebildet ist. In Teilen Subsahara-Afrikas werden Menschen mit Albinismus von der Gesellschaft ausgestossen, da man nicht genug über die Krankheit weiss. Menschen, die unter dieser Krankheit leiden, „müssen also sowohl Herausforderungen aufgrund der Sonne als auch gesellschaftliche Herausforderungen meistern“ und fühlen sich „unzugehörig“. Aufgenommen mit einer Canon EOS 5D Mark III mit einem Canon EF 50mm f/1.4 USM Objektiv bei einer Verschlusszeit von 1/1600 Sek., Blende 1:2,2 und ISO 100. © Sarah Waiswa

Ein Schwarzweissfoto von zwei jungen Mädchen in Ballettröcken, die ihre Arme über die Köpfe heben.

In Kenia ist Ballett ein sehr kostspieliges Hobby, das sich viele nicht leisten können. Dieses Foto aus Waiswas Reihe „Ballet in Kibera“ versinnbildlicht, dass Kinder aus Slums die Möglichkeit haben, diese Grenzen zu überwinden. Aufgenommen mit einer Canon EOS 5D Mark III mit einem Canon EF 24-70mm f/2.8L II USM Objektiv bei 70 mm, Verschlusszeit 1/60 Sek., Blende 1:2,8 und ISO 800. © Sarah Waiswa.

Mehr über den Aufbau von Foto-Communitys erfährst du in dieser Episode des Canon Podcasts „Shutter Stories“:

Beobachten versus der Beobachter

Die Arbeiten von Waiswa befassen sich vorwiegend mit dem Kampf gegen vergangene und gegenwärtige Machtungleichheiten. Ihr Projekt „Stranger in a Familiar Land“ befasste sich mit dem Leben von Florence Kisombe, einem Modell, das unter Albinismus leidet, und andere Menschen mit dieser Krankheit in Subsahara-Afrika sowie mit der Reaktion der Gesellschaft auf diese Krankheit.

Eine weitere bekannte Fotoreihe von Waiswa ist „Lips Touched with Blood“. Dabei hat Waiswa moderne Porträts afrikanischer Menschen neben alte Porträts gehängt und so eine Ausstellung geschaffen, die Geschichten über Kolonialismus, Macht und Identität neu deutet und hinterfragt. Waiswa hat dazu unter anderem das Motiv im Bild geschwärzt, um so dem Fotografen seine Macht zu nehmen und zu verdeutlichen, dass man wieder zu sich selbst findet.

Waiswa hat für das Projekt mit der „British Empire and Commonwealth Collection“ im Archiv in Bristol zusammengearbeitet. Diese umfasst circa eine halbe Million Fotos aus Ländern des ehemaligen britischen Weltreichs, die aus dem Zeitraum zwischen 1860 und den 1970er Jahren stammen. Die meisten der Fotos wurden von britischen Reisenden aufgenommen.

„Auch wenn das Bild wichtig war“, ergänzt Waiswa, „interessiert mich beim Blick auf diese Bilder aus der Kolonialzeit auch die Beschriftung auf der Rückseite der Bilder. Dort fand ich den Kontext zu den Lebensbedingungen während der Zeit, als die Bilder aufgenommen wurden.“

„Der Fotograf“, fährt Waiswa fort, „wurde oft als Entdecker dargestellt“, und er ist in der Tat eine Art Entdecker. Die Frage ist: Waren die Menschen in den Bildern bei einer Agentur? Wollten sie fotografiert werden? Selbst in den Beschreibungen werden die Menschen so beschrieben, als handle es sich dabei um Sehenswürdigkeiten, die man während einer Safari sieht: ‚Oh hier ist ein Einheimischer‘ oder was auch immer. Sie wurden nicht als Personen beschrieben. Es steht nicht dort, dass dies Soundso ist und die Person eine Familie hat. Es ist so, als würde der Entdecker sagen ‚Schau, was ich alles tolles gesehen habe.‘ Es geht nicht wirklich darum, was auf den Bilder zu sehen ist, sondern es geht um die Person, die die Dinge gesehen hat.

„Die Kamera selbst hat nicht wirklich für Ausgewogenheit gesorgt“, erklärt Waiswa. „Ich bin der Meinung, dass stets jemand hinter der Kamera stand, der alle Karten in der Hand hielt. Oder nicht? Selbst heute haben Fotografen Macht, wenn sie eine Gemeinschaft besuchen. Sie sind es, die die Geschichten auf bestimmte Weise dominieren oder lenken. Ich glaube, das ist immer noch der Fall.“

Deshalb weist Waiswa einmal mehr darauf hin, wie wichtig ein kooperatives Vorgehen ist. „Natürlich ist es hilfreich, wenn afrikanische Fotografen afrikanische Menschen fotografieren. So werden zwar die Machtungleichheiten nicht vollständig ausgeglichen, aber man erhält definitiv eine neue Sichtweise. Ich bin der Meinung, dass es für lokale Fotografen wichtig ist, die Geschichten aus ihrer Nachbarschaft erzählen zu können.“

„Ich glaube, es kommt wirklich auf die Geschichte an. Es geht nicht nur darum, was ich vermitteln möchte, sondern auch darum, wer die Menschen in den Fotos sind. Es geht darum, wie wir eine Geschichte erzählen können und das nicht nur mithilfe der Kamera sondern mithilfe dieser Menschen, die uns helfen, etwas zu schaffen.“

Strangely Familiar: Die fiktiven Frauen von Guia Besana

Guia Besana spricht über ihre neueste Bilderreihe „Strangely Familiar“ („Seltsam vertraut“) – ein Projekt inspiriert durch ihre eigene Krankheitsgeschichte und die wahre Geschichte der Darstellerin einer Monstrositätenschau des 19. Jahrhunderts.
Ein Schwarzweiss-Porträt eines Mannes, der ein kariertes Sarong und Schmuck im Tribal Style trägt.

„Ich finde es sehr aufregend, wenn wir mit Fotografinnen aus verschiedenen, unterrepräsentierten Teilen des Kontinents, beispielsweise Zentralafrika, arbeiten“, sagt Waiswa. „Unsere Mitglieder kommen beinahe aus dem gesamten Kontinent. Ich würde mich jedoch über Mitglieder aus Ländern freuen, die normalerweise nicht vertreten sind.“ Aufgenommen mit einer Canon EOS 5D Mark III mit einem Canon EF 50mm f/1.4 USM Objektiv bei einer Verschlusszeit von 1/100 Sek., Blende 1:7,1 und ISO 200. © Sarah Waiswa

Eine junge Frau, die wehmütig zur Seite blickt und sich dabei mit einer Hand an einer Wand abstützt. Im Hintergrund lehnen andere Menschen an einer anderen Wand.

Innerhalb des Netzwerks wird aufstrebenden Fotografinnen auf vielerlei Weise Unterstützung geboten: „Letztes Jahr habe ich einen Workshop veranstaltet, bei dem wir [Tutorials vor Ort] zum Thema Storytelling veranstalteten und unseren Studentinnen beim Umgang mit diesem Thema halfen“, so Waiswa. „Unsere Unterstützung erstreckt sich auch auf Förderungsanträge oder [Feedback] zu Bildern. Wir versuchen, Mitgliedern zu helfen und diese zu fördern.“ Aufgenommen mit einer Canon EOS 5D Mark III mit einem Canon EF 24-70mm f/2.8L II USM Objektiv bei 50 mm, Verschlusszeit 1/60 Sek., Blende 1:2,8 und ISO 800. © Sarah Waiswa

Geschichten ändern

Wenn es darum geht, Geschichten zu ändern, ist Waiswa der Meinung, dass Bilder dabei genauso machtvoll sind wie Texte. „Mir fällt es leichter, eine Verbindung zu einem Bild herzustellen als zu einem Text. Fotos haben eine umfassende unmittelbare Auswirkung“, meint sie. „Natürlich vermitteln Bilder nicht die gesamte Geschichte, aber sie können dich berühren und dich zum Nachdenken anregen.“

„Tatsache ist, dass du dir ein Bild ansehen kannst, und ich mir ein Bild ansehen kann, und wir beide etwas anderes sehen. Was wir sehen, wird von unserem Hintergrund und so vielen anderen Dingen beeinflusst. Ich glaube, das ist die Macht eines Bildes oder die Macht der Kunst. Sie sind Auslegungssache und führen zu einer Diskussion.“

Im Hinblick auf die Zukunft hofft Waiswa, dass die Gemeinschaft von „African Women in Photography“ noch mehr Mitglieder gewinnt. „Wir helfen und lernen voneinander. Ich hoffe, dass junge Fotografinnen und Nachwuchsfotografinnen die Gemeinschaft als Ressource nutzen, ihre Karrieren vorantreiben und der Welt ihr Können beweisen können. Ausserdem hoffe ich, dass sie etwas zu den verschiedenen Problemen beitragen können.“

„Unsere Stimmen wurden lange Zeit ignoriert“, schliesst Waiswa. „Das ist die Gelegenheit für die Welt zu sehen, wie eine afrikanische Frau das Leben sieht. Es ist eine Sichtweise, die gehört und gesehen werden muss.“

Lorna Dockerill

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