Fotografen mit einem Auge für Minimalismus scheuen nicht davor zurück, ihren Bildausschnitt zu verschieben und die Elemente einer Szene auf das Wichtigste zu reduzieren. Wenn das gelingt, kann das Ergebnis Einfachheit und Anmut ausstrahlen – etwas, das die Komplexität des menschlichen Verstands oft zur Ruhe bringt, wenn es in einem Bild eingefangen wird. Das Bildkonzept „Raum zum Atmen“ kann professionellen Fotografen tolle Möglichkeiten bieten, wenn sie sich der Herausforderung stellen.
Der portugiesische Reisefotograf, Dokumentarfilmemacher und Canon Ambassador Joel Santos vereint Abenteuer mit einer Faszination für entlegene Ecken der Welt und den Menschen, die dort leben. Er kombiniert Landschaften und Porträtkunst und erzählt Geschichten an Orten wie der Mongolei, dem Südsudan, Indonesien und Ghana. Er hat neun Bücher geschrieben und wurde 2016 zum Reisefotografen des Jahres gewählt.
Der preisgekrönte Motorsportfotograf und Canon Ambassador Vladimir Rys hat seine Anfangsjahre in der Dunkelkammer verbracht. Sein Portfolio umfasst eine Vielzahl von Themen, doch sein Schwerpunkt liegt seit 2005 auf der Formel 1. Er ist im Jahr etwa 80 Mal mit dem Flugzeug unterwegs, um an Orte wie Monaco und Singapur zu reisen. 2014 wurde er vom Italienischen Verband für Motorsport zum Fotografen des Jahres ernannt.
Hier teilen Joel und Vladimir ihre Tipps und Techniken, dank derer sie mit Minimalismus experimentieren und so unglaubliche Ergebnisse erzielen konnten.
TECHNIKEN
Wenn weniger mehr ist: Minimalismus in der Fotografie einfangen
1. Die Geräusche herausfiltern
Ein minimalistischer Stil kann zu jeder Technik passen. Für Vladimir ist es jedoch essentiell, die Störgeräusche einer Szene zu durchbrechen und sie zu beobachten, um in einer Komposition Raum zu schaffen. „Die Formel 1 ist wahrscheinlich eine der schnellsten Motorsportarten der Welt“, sagt er. „Durch die Geschwindigkeit und die Geräusche ist so viel mehr los. Oft sehe ich, wie Menschen nur durch den Sucher schauen und vieles verpassen. Wenn man als Fotograf den genau gegenteiligen Ansatz verfolgt, also langsam ist, beobachtet und sieht, was der Fahrer mit dem Auto macht, welche Ideallinie er fährt, dann ist genau das wichtig, um Bildern Raum zum Atmen zu geben.“
„Filtere all die Geräusche heraus und konzentriere dich auf die Hauptszene, die sich vor dir abspielt. Bleibe ruhig und fokussiert. Folge deinen Instinkten, um den richtigen Moment einzufangen.“
2. Eine visuelle Story vereinfachen
„Kompositionen Raum zum Atmen zu geben, ist sehr stark mit dem Konzept des Minimalismus verknüpft“, beschreibt Joel. „Es ist eine Strategie, um eine visuelle Story zu vereinfachen: nicht so, dass sie nur noch ein Punkt auf einer weissen Leinwand ist, sondern mit dem Ziel einer klaren, eindrucksvollen Story. Um das zu erreichen, müssen wir meiner Meinung nach die häufigste Vorstellung von Komposition hinter uns lassen: den Prozess, Elemente zu einem Bildausschnitt hinzuzufügen. Stattdessen musst du dein Umfeld analysieren und überlegen, was du aus dem Bildausschnitt entfernen kannst“.
In Joels Augen sorgen einfache Bilder dafür, dass die Betrachter, und Wettbewerbsjuroren im Speziellen, die Aussage eines Fotografen verstehen.
„Die Welt ist ohnehin ein komplexer Ort, also muss es unser Ziel sein, die Dinge zu vereinfachen“, ergänzt er. „Warum sollten wir das tun? Weil wir Fotos nicht nur für uns selbst aufnehmen. Wenn du mit diesen Fotos beispielsweise an einem Wettbewerb teilen willst, musst du dafür sorgen, dass alle, auch die Juroren, die Aussage der Fotos ohne Bildunterschrift verstehen. Wenn du dein Foto zu komplex gestaltest, gibt es keinen Raum zum Atmen.“
Besitzt du eine Canon Ausrüstung?
3. Verschiedene Objektive ausprobieren
Im Minimalismus ist weniger mehr und eine begrenzte Ausrüstung kann die Kreativität anregen. Mit Festbrennweiten kann der Prozess beispielsweise vereinfacht werden. Vladimir hat jahrelang mit Zoomobjektiven fotografiert, bevor er zu Festbrennweiten gewechselt ist. „Mein Fotografiestil ist besser für diese Art von Objektiv geeignet. Man bewegt sich viel, bringt sich in Position und findet den geeigneten Bildausschnitt, anstatt nur heran- und herauszuzoomen. Das ist der Unterschied zwischen mir und Agenturfotografen, die schnell sein müssen“, sagt er.
Vladimir ist aufgrund ihrer Geschwindigkeit auf Canons Systemkameras umgestiegen und verwendet jetzt die Canon EOS R3 und die EOS R5. Seine Ausrüstung umfasst ausserdem sein Lieblingsobjektiv, das Canon RF 50mm F1.2L USM, das er für Porträts, die Rennstrecke, Landschaften und alles dazwischen verwendet. „Ich verwende Festbrennweiten ausserdem, weil man bei Weitwinkelaufnahmen mit kleiner Blende wie 1:1,4, 1:1,8 und 1:2 einen Kino-Look schaffen kann, der mir sehr gut gefällt“, erklärt er weiter. „Das kann als Tool für minimalistische Aufnahmen genutzt werden, weil du den Hintergrund ausblenden und die Aufmerksamkeit auf das Motiv deiner Wahl lenken kannst“.
Joel, der aufgrund ihres idealen Gewichts mit der EOS R5 seine Fotos schiesst, bevorzugt das Canon RF 28-70mm F2L USM Objektiv, weil es „optisch hervorragend und wie ein Set Festbrennweiten ist“. „Je mehr du übst, desto mehr wird deine Ausstattung zu einer Ausdrucksweise deines Körpers“, fügt er hinzu. „Ich habe viele Festbrennweiten, aber wenn ich mich für eine entscheiden müsste, wäre es die Canon RF 35mm F1.8 MACRO IS STM, weil sie so dezent ist. Sie ist nicht so lang, dass du bei Umgebungsporträts oder einer Landschaft einen Teil des Motivs wegschneidest. Sie ist aber auch nicht so weit, dass in deinem Bildausschnitt zu viel los ist und du an Tiefe verlierst. Du erhältst die beabsichtigte Schlichtheit. Ein Objektiv kann unendlich viele Interpretationen ermöglichen, solange du dich bewegst und mit den Stärken und Schwächen deiner Ausrüstung spielst.“
4. Verwende negativen Raum
Die bewährte Methode zur Verwendung von negativem Raum ist auch eine Technik, die Joel für ausdrucksstarke Bilder empfiehlt. „Wenn du willst, dass dein Motiv die Hauptrolle spielt, kommt es besser zur Geltung, wenn es von mehr negativem Raum umgeben ist“, erklärt er.
Auch Joels wirtschaftlicher Hintergrund und seine Liebe zur Mathematik beeinflussen die Art und Weise, wie er seine Bilder inszeniert. „Ich verwende gerne ungerade Zahlen“, erzählt er. „Eine ungerade Zahl zieht ohnehin schon Aufmerksamkeit auf sich, aber wenn es wie in dem Foto oben eine Reflexion gibt, wird durch die Doppelung eine gerade Zahl daraus. Dieses Zusammenspiel zwischen ungerade und gerade mag ich sehr und verwende es häufig, um meine Fotos minimalistischer zu gestalten. Aber gleichzeitig werden sie auch irgendwie ausdrucksstärker, da sie von Elementen in dem Foto vervielfacht werden.
5. Licht als Hauptzutat
„Wenn du Licht effektiv nutzt, wie ein sehr dunkler Hintergrund, sodass nur die Hauptperson beleuchtet ist, kannst du extrem minimalistische Fotos schiessen“, erklärt Joel. „Das ist sehr gut umsetzbar; du brauchst nur kontrastierendes Licht.
„In einer Zeit, in der jeder HDR-Fotos mit all ihren Details aufnehmen will, ist es manchmal ganz gut, nicht all diese Details zu haben. Auf diese Weise kannst du eine starke Silhouette oder das Gegenteil schaffen, so wie ich es bei dem [obigen] in Niger aufgenommenen Foto gemacht habe. Es zeigt einen Mann, der nach dem Gebet eine Moschee verlässt.“
Fotodrucke von Aufnahmen bei wenig Licht und minimalistischen Szenen
6.Schwenken ausprobieren
Eine der gebräuchlichsten und beliebtesten Techniken in der Rennsportfotografie, die in allen Genres zum Einsatz kommen kann, ist das Schwenken mit einer langen Verschlusszeit, so Vladimir. Dadurch entsteht ein minimalistischer Effekt mit klaren Linien. „Wenn du einem Motiv mit deinem Objektiv mit langer Verschlusszeit folgst, eliminierst du im Prinzip alles andere und versuchst, das Motiv, das du fokussierst, scharf zu halten“, erklärt er. „Das ist eine meiner Lieblingstechniken für minimalistische Bilder.
„Die Technik ist eine Herausforderung, aber mit Systemkameras kannst du viel schneller gute Ergebnisse erzielen. Besonders hilfreich ist dabei die Schwenkunterstützung, mit der du eine bessere Trefferquote erreichst. Doch die wichtigsten Faktoren sind Konzentration, eine ruhige Hand und manchmal ein angehaltener Atem, damit du dich nicht bewegst. Es kann etwas dauern, bis man es gut hinbekommt, weil jedes Auto eine andere Geschwindigkeit oder Ideallinie fährt. Es ist also keine einfache Aufgabe. Aber wenn es funktioniert, sind die Ergebnisse eine tolle Belohnung.“
Das sind nur ein paar Beispiele der beeindruckenden Ergebnisse, die du mit einer minimalistischen Herangehensweise an deine Fotografie erzielen kannst. Ob du Elemente aus dem Bildausschnitt entfernst oder mit Licht und Schatten experimentierst: Weniger ist oft mehr, wenn du deinen Bildern etwas Raum zum Atmen gibst.
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